Mein Weg


Mit Platino wurde einfach alles anders. Als ich ihn damals fast 4-jährig bekam, glaubte ich noch, genügend erfahren zu sein, ein junges Pferd mal eben so auszubilden. Dazu noch eines, mit dem rassetypischen Temperament und Charakter eines Trakehners. Ich hatte gedanklich weder Umwege noch Komplikationen eingeplant. Zielstrebig wie immer wollte ich vorgehen, versteht sich. Aus heutiger Sicht war dieses Vorhaben fast verwegen, denn ich hatte nicht einmal den blassesten Schimmer eines Konzepts. Nur eines wusste ich: Wie die meisten Pferdeleute wollte ich vom ersten Tag an alles perfekt machen. Doch ich musste lernen, dass gut gemeint leider noch lange nicht gut gemacht ist...

 

Tino erwies sich schnell als eine Herausforderung an meine Persönlichkeit, meinen Geist, meine Reflektionsfähigkeit und meine Bereitschaft, statt vorwärts zu kommen, auf "Reset" zu drücken. Als grundsätzlich arbeitswilliges, bewegungsfreudiges und fröhliches Tier entwickelte er immer vehementeren Widerstand gegen meine Forderungen an ihn. Wiederstand, der sich in seinem Verhalten und danach auch durch sichtbare körperliche Verspannungen äußerte. Ich merkte deutlich, dass Tino nur kooperieren würde, wenn ich bereit wäre, meine Komfortzone zu verlassen und neue Wege zu finden. Wenn ich bereit wäre, mich völlig auf ihn einzulassen. Mit all seinen geistigen und körperlichen Stärken, aber auch Schwächen. Was ich bisher gelernt und praktiziert hatte, war einfach nicht wie ein "Ausbildungshütchen" über mein Pferd zu stülpen. Weder sein Geist noch sein Körper waren bereit, dies zuzulassen. Stattdessen schien er mich immer eindringlicher zu fragen: "Was willst Du? Und weshalb sollte ich Dir folgen?"

 

So stand ich, als ich schon mittendrin steckte, vor der Frage, die ich mir hätte zu Anfang stellen sollen: was ist das Ziel?

Um die Antwort auf diese Frage nicht nur zu verstehen, sondern auch zu leben, sollte ich noch einige Zeit reifen müssen.

 

Ich ritt bereits seit meiner Kindheit, war auf Turnieren im Springen und in der Dressur unterwegs gewesen. In die willensstarken Trakehner hatte ich mich gerade aufgrund ihrer ausgeprägten Persönlichkeit verliebt. Nun bewegte mich also ein solches Wesen dazu, nachzudenken, zu reflektieren und mich mit ihm auf die Suche nach einem gemeinsamen Neuanfang zu machen.

 

Wann immer ich bis dahin von der Akademischen Reitkunst gelesen hatte, war ich tief beeindruckt von der Leichtigkeit und der Harmonie, die von dieser Arbeit ausging. Die Art und Weise, wie dabei dem Pferd als Individuum Raum gegeben wird und wie gegenseitiger Respekt und Rücksicht stets an erster Stelle stehen, hatte ich so leider noch nirgendwo sonst beobachtet. Ich ahnte schnell, dass es das war, was wir brauchten. Was ich also bis dahin immer wieder verworfen hatte, reifte nun stetig von einem Interesse zu einem Vorhaben, dann zu einem begeisterten Plan und sollte sich schon bald darauf zu meiner Passion entwickeln. Wochen verbrachte ich damit, mich mit der Thematik zu beschäftigen. Ich studierte Bücher und Lehrfilme. In meiner unmittelbaren Nähe kannte ich damals niemanden, der die Akademische Reitkunst verfolgte. So begann ich eines Tages, die ersten mir theoretisch angearbeiteten Dinge vorsichtig mit Tino umzusetzen. Mit damals für mich noch erstaunlichem Ergebnis: Tino "antwortete" mir mit Erleichterung, Kooperationsbereitschaft und Eifer, er wirkte in kurzer Zeit wie ausgewechselt. Für mich schien er sich zu verändern, bis ich begriff, dass ich mich verändert hatte. Meine innere Einstellung, meine Erwartungshaltung und meine Herangehensweise.

 

Im Schlusswort eines seiner Bücher las ich, was der dänische Großmeister der Akademischen Reitkunst zu seiner persönlichen Entwicklung mit seinem kürzlich leider verstorbenen Knabstrupper Hugin schreibt, der für ihn sein Lehrmeister war:

 

"Ich hatte Angst, denn ich konnte ihn nicht beherrschen.

Ich lernte aber, ihn und meine Furcht zu zügeln.

Er hatte keine Gehlust, und ich musste sie für uns beide aufbringen.

Er hatte keine Ruhe, und ich musste sie für uns beide finden.

Ich war jähzornig, und ich schlug mein Pferd.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen und ich lernte daraus, mich selbst zu beherrschen.

Denn seine Augen waren treu und schwiegen über meine Unzulänglichkeit.

Mein Pferd ist mein Spiegel, der meine schlechte und gute Laune unverfälscht wiedergibt. Sieh hinein in die Augen Deines Pferdes, aber erschrecke nicht über die Wahrheit."

 

Da war sie, die Antwort: Gemeinsame Zeit mit gemeinsamer Freude verbringen! Ich möchte mein Pferd ohne Druck so gymnastizieren, dass es seiner körperlichen Gesundheit zuträglich ist und ihm ein langes, schönes Leben mit gesunden Knochen beschert!

Hatte ich früher Piaffen vor meinem geistigen Auge, weiß ich heute:

Der Weg ist das Ziel - und dieser führt so weit, wie zwei Geister wollen und zwei Körper im Stande sind, zu leisten...

Nicht mehr und nicht weniger.

 

So begann also unsere Reise. Wir suchten uns Anleitung und Unterstützung bei verschiedenen Lehrern der Akademische Reitkunst. Es folgten sehr intensive und lehrreiche Jahre, in denen ich nicht nur viel über Pferde- und Reiterausbildung lernte, sondern ebenso intensiv über mich selbst.

Tino arbeitete vom ersten Tag an freudig mit und machte in windeseile Fortschritte. Er fand innere Ruhe und Gelassenheit. Sowohl geistig als auch körperlich wurde er immer stärker, selbstbewusster und schöner und reifte zusehens zu dem ausgeglichenen Pferd, das er heute ist.

 Unsere Entwicklung blieb von den Menschen um uns herum nicht unbemerkt. Immer mehr Pferdeleute wurden aufmerksam auf unsere Arbeit und so begann ich langsam, mein erlangtes Wissen weiter zu geben. Im Sommer 2014 bestanden wir die Wappenträgerprüfung und so wurdeich im August 2014 in die Ritterschaft der Akademischen Reitkunst aufgenommen. 

Ich bin schließlich sehr glücklich, dass alles so gekommen ist. Es ist erfüllend, engagierte und ehrliche Menschen um mich zu haben, die sich für denselben harmonischen Weg mit ihren Pferden entschieden haben. Ich fühle mich geehrt, ihre Fortschritte begleiten zu dürfen.

Und ich bin stolz auf meinen Lehrmeister Tino, der all das schon zu Anfang wusste.

Wir sind angekommen.... auf dem Weg.

Das ist das Ziel.

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